2016 03 11bz12016 03 11bz2Wenn Shabnam Behdad-Weidemann von "ihren" Flüchtlings-Jungs spricht, dann treibt es der 40-Jährigen manchmal die Tränen in die Augen. Tränen der Empörung oder der Rührung. Die gebürtige Iranerin betreut in der Jugendhilfeeinrichtung Life Concepts Gifhorn zehn minderjährige afghanische Jungen, die allein in Deutschland gelandet sind. Die Wasbüttlerin, die selbst vor 30 Jahren nach Deutschland floh, bekommt so tiefe Einblicke in die Lebenswelten der Jugendlichen, die oft erschütternde Erlebnisse hinter sich haben - und hofft auf eine breitere Unterstützung bei der Integration. "Freie Bildung, gleiche Rechte: Dass man hier alles werden kann, was man will, ist für die Jungen wie das Paradies."

Die Hälfte von ihnen verließ das zerstörte Afghanistan, die anderen Afghanen lebten mit ihren Familien vor der Flucht jahrelang im Iran, schätzt Behdad-Weidemann: Die diplomierte Juristin erzählt von drei Brüdern, deren Vater vor den Taliban dorthin floh. Bis zu vier Millionen Afghanen sollen in dem Land leben: als Menschen dritter Klasse, beschreibt die gläubige Christin aus Wasbüttel. "Sie haben keine Rechte. Das hat etwas von Apartheid. Sie haben nie eine Chance gehabt." Zugang zu einer eingeschränkten Bildung erhalten die Kinder nur, wenn die Eltern hohe Summen aufbringen. Afghanen dürften aber nur niederste Tätigkeiten verrichten: Sie fangen in jungen Jahren mit der Arbeit an. Einer der Gifhorner Jungen begann mit sieben, Reisebusse zu reinigen. "Dass er hier Busfahrer werden dürfte, konnte er nicht glauben."

Behdad-Weidemann räumt mit Missverständnissen auf: Etwa dem, dass hauptsächlich junge, männliche Flüchtlinge allein hierher geschickt würden, weil nur sie etwas gälten. "Viele Frauen und Mädchen schaffen die Strapazen der Reise nicht. Das haben die Jungs mir berichtet. Andere verschwinden spurlos." Etwa, weil Banden sie verschleppten und in die Prostitution zwängen. 40 Prozent der minderjährigen Flüchtlinge hätten die Reise mit der Familie zusammen angetreten - und seien von ihr getrennt worden. Hier angekommen, sind die afghanischen Kinder dann "hauptsächlich eingeschüchtert. Sie fragen viel. Etwa wenn ein Mädchen sie in der Schule anspricht und sagt: Bist du bei WhatsApp? Dann kommen sie zu mir und wollen wissen: Darf ich ihr überhaupt schreiben?"

Behdad-Weidemann ist nicht nur in Gifhorn aktiv, auch in Wolfsburger Flüchtlingsunterkünften: Ihre Sprachkenntnisse in Farsi und Dari prädestinieren sie dafür, mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan und dem Iran zu arbeiten. Die dreifache Mutter macht das meiste ehrenamtlich. "Das ist ein Fulltime-Job": Sie ist an sechs Tagen in der Woche unterwegs, zwischen 7 und 22 Uhr klingelt das Telefon. Schon weil Muttersprachler eine Seltenheit sind.

Sie betont die immense Dankbarkeit der meisten Jungen: "Sie sind höflich, zuvorkommend - und wollen sich unbedingt integrieren." Die Helferin appelliert: "Wir müssen ihnen Möglichkeiten geben, ihnen einen Zugang zur Gesellschaft bieten." Beispielsweise dadurch, dass Unternehmen ihnen Praktika anbieten oder Privatleute Patenschaften übernehmen. "Es gibt so viele Menschen, die Gutes tun könnten, wenn sie nur davon wüssten." Etwa vom 15-Jährigen, der davon träumt, Gitarre zu lernen. "Vielleicht ist da ja jemand, der ihm Stunden gibt?"

Aus der Braunschweiger Zeitung, Gifhorn - 11. Maerz 2016 - Gifhorner Lokales - Seite 21,  Archiv/Foto: Westermann