Mit Ende 20 wurde ihm klar: „Wenn ich so weiter mache, liege ich allerspätestens mit 35 unterm Rasen.“ Heute ist der Wasbütteler Uwe Grundmann 51 Jahre alt – und seit 23 Jahren ist er trocken.

Seine – wie er selbst sagt – „nasse Zeit“ begann mit 14 Jahren: „Den ersten Kontakt mit Alkohol hatte ich bei meiner Konfirmation, zwei Jahre später ging das Komasaufen mit den Kumpels los – und später verging kaum noch ein Tag ohne Alkohol.“ Hauptsächlich Bier hat Uwe Grundmann damals getrunken, selten Schnaps. „Zum Glück“, wie er heute sagt. „Ansonsten wäre der körperliche und geistige Verfall wohl weit schneller vorangeschritten.“ Gesund war's dennoch allemal nicht, was er seinem Körper angetan hat: Wassereinlagerungen, Nierenprobleme, Verdacht auf Herzfehler „und eine Fettleber sowieso“.

Der Druck wurde immer größer: „Natürlich ist es im VW-Werk aufgefallen, dass ich häufig krank gemacht habe“, erinnert sich der gebürtige Wolfsburger. Doch wie hätte er überhaupt pünktlich bei der Arbeit sein sollen, wenn's am Abend zuvor in der Stammkneipe mal wieder später wurde? „Manchmal wusste ich ja nicht mal, wann und vor allem wie ich nach Hause gekommen bin.“

Den Führerschein musste Grundmann zwei Mal abgeben. Die erste Ehe ging in die Brüche. Doch warum aufhören? „Jetzt erst recht“, sagte er sich zum Feierabend, wenn's auf der Arbeit mal wieder besonders stressig war. Zu Hause wartete keiner mehr auf ihn, und der Kühlschrank war sowieso leer. „Also nahm ich mir auf dem Heimweg einen 10er-Träger Bier vom Kiosk mit.“ Gereicht hat's natürlich nicht. „Später wurde dann ein Taxi gerufen, damit frisches Pils rankommt.“

Im Laufe der Zeit hat sich sein Körper immer mehr an den Alkohol gewöhnt: „Ich wollte nie abhängig werden – bin's aber geworden“, ist dem Wasbütteler heute klar. Damals aber ließen die Depressionen solche Gedanken nicht zu: „Als mich nichts mehr hielt, kam ich in Behandlung. Die Ärzte verschrieben mir Medikamente – dann ging's einigermaßen.“ Für Grundmann war dann Trinkpause – manchmal wochenlang: Die Depressionen gingen vorüber, die Dosis wurde langsam herabgesetzt. „Ob ich mich dann besser gefühlt habe? Ja! Aber war ich innerlich zufrieden? Nein!“ Ein schlechter Tag genügte und Grundmann griff wieder zur Flasche – die Sucht ließ ihn einfach nicht mehr los.

„Alles drehte sich nur noch um den Suff – und darum, Job und Wohnung nicht zu verlieren.“ Neben der Flüssignahrung spielte festes Essen kaum noch eine Rolle. Das Saufen war sein einziges Hobby, die Saufkumpanen die einzigen Freunde.

Zur damaligen Clique hat er keinen Kontakt mehr: „Wenn man sich nicht von seiner Umgebung löst, kommt man nie vom Alkohol los.“ Geholfen hat Grundmann die Suchtkrankenhilfe in Fallersleben – und ein Ultimatum seiner Eltern: „Sie sagten: Wenn Du jetzt nicht hingehst, bist Du nicht mehr unser Sohn! Da hat's Klick gemacht.“

Zweimal pro Woche ist Grundmann zur Therapie gegangen. Zusammen mit anderen Abhängigen aus dem Gesprächskreis hat er sinnvolle Freizeitbeschäftigungen gefunden – ganz ohne Alkohol. „Ich musste mein Leben komplett neu abstecken, um wieder Fuß zu fassen.“ Es hat geklappt – „und meine Edeltraut habe ich dort auch kennengelernt“.

1993 zogen beide nach Wasbüttel, 1994 wurde geheiratet. Der Alkohol beherrscht ihr Leben nicht mehr – stattdessen die drei Kinder aus ihrer ersten Ehe. „Inzwischen sind sie erwachsen, und wir können uns als Oma und Opa auf unsere vier Enkel konzentrieren.“

Uwe Grundmann kramte die alte Gitarre hervor. Seine nasse Zeit arbeitete er in 16 selbstgeschriebenen Songs auf. Das Album heißt „Gefühle“. Seinen alten Drahtesel beförderte er auf den Schrott und holte sich ein schmuckes, neues Rad: „Fahrrad bin ich schon vor der Sucht gerne gefahren – heute mache ich regelmäßig große Touren.“ Und die drei Hunde und drei Katzen erfordern ebenfalls seine volle Aufmerksamkeit.

In der Zwischenzeit ließ er sich zum Suchtkrankenberater weiterbilden. „Nachdem ich es geschafft habe, wollte ich anderen helfen.“ Grundmann weiß, wovon er spricht: „Meine Lebensqualität hat sich massiv verbessert.“ Mit der Abstinenz bekam sein Leben wieder einen Sinn, und er fühlt sich besser – weit besser als mit Ende 20.

siehe auch Vortrag am 28.4.2013: Hilfe ist möglich

Aus der Allerzeitung vom 27.04.2013 / AZ Seite 19, Foto: Photowerk (til)