Nicht enden wollende Aufbruchsstimmung, Heimweh oder schnell Gewohnheit? Veronika Kravchenko aus Russland berichtet, wie es ist, Freunde und Elternhaus hinter sich zu lassen, um tausende Kilometer entfernt ein Auslandsschuljahr zu verbringen.
"Es ist hier viel kälter als am Schwarzen Meer", hat die 15-Jährige die Frage nach dem größten Unterschied zwischen Deutschland und ihrem Zuhause, der Schwarzmeerstadt Krasnodar, schnell beantwortet. Kälte und Schnee scheinen gewöhnungsbedürftiger als der Wechsel von der Millionenstadt ins beschauliche Wasbüttel.

Noch bis Juli ist sie Gasttochter bei Familie Heuer. In deren 16-jähriger Tochter Imke hat sie eine Schwester auf Zeit gefunden. Mit ihr besucht sie die 10. Klasse der Realschule Calberlah. Dass die Schultoiletten in Deutschland nicht der Hit sind, hat sie dort festgestellt. Und dass russische Jungs in Liebesdingen deutlich romantischer sind.

"Bei uns gibt es Schuluniformen und die Lehrer sind bei der Handynutzung nicht so streng", berichtet Veronika vom Schulalltag in Russland. "In Politik und Geschichte fällt es mir hier manchmal schwer, alles zu verstehen." Aber: "In Mathe schreibt sie nur Einser", stöhnt Gastschwester Imke ohne Neid. Sie war selbst ein Jahr in den USA. Danach hat die Familie entschieden, einen Gastschüler aufzunehmen.

"Es ist eine tolle Erfahrung und große Bereicherung", sagt Christiane Heuer. Die Familie nutze Veronikas Anwesenheit, um das eigene Land besser kennenzulernen. Neben Klassikern wie Berlin und Hamburg hat die Familie Münster und Bremen besucht. Auch auf eigene Faust ist Veronika viel unterwegs. "Bei uns sind die Entfernungen viel größer, hier kann man mehr entdecken", berichtet sie von Touren mit der Eisenbahn. Dabei wird Kritik laut: "Die Tickets sind viel zu teuer".

Dafür hat sie in Deutschland die Liebe zu einem Fortbewegungsmittel entdeckt, das nichts kostet: Das Fahrradfahren. "Bei uns gibt es keine Radwege", klagt die Austauschschülerin.

Heimweh habe sie bisher nicht gehabt, auch nicht zu Weihnachten. Dafür gab es zu viel Neues zu entdecken. "Beim Besuch von Weihnachtsmärkten hat sie sich gefreut wie ein kleines Kind", schmunzelt Christiane Heuer. "Solche Märkte gibt es bei uns nicht", schwärmt Veronika noch immer von Lichterglanz, Atmosphäre und Leckereien.

In Deutschland hat es ihr besonders die Schokolade angetan. "Sie isst eigentlich alles", sagt Christiane Heuer. Mit einer Ausnahme: "Harzer Roller", allein mit Augenrollen macht die Russin deutlich, was aus ihrer Sicht gar nicht geht in der deutschen Küche. Ist im Gastland etwas beispielhaft? "Bio und Öko auf jeden Fall", bestaunt Veronika immer wieder die akribische Mülltrennung. "Bei uns wandert alles in dieselbe Tonne", bedauert sie.

In ihrer Schule war Veronika die erste, die sich auf die Reise ins Ausland gemacht hat. "Ich glaube, die Möglichkeit ist bei uns nicht so bekannt - dafür wird nicht geworben."

 

Aus der Gifhorner Rundschau, Wolfsburg: 12. Januar 2011, Gifhorner Rundschau, Seite G01, Foto: Wimmer